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            Fortsetzung 
              (Gebürtig 3) 
               
              28. Februar 1986 
              Heute haben sie mich zweimal rausgefischt und 
                ins schärfste Profil gesetzt und damit die jeweiligen Einstellungen 
                begonnen. Irgendwer ist in meine den Stürmerkarikaturen nachempfundene 
                Nase verliebt, so dass gleichsam wie ein Gongschlag vor Judenelendsszenen 
                meine Nase die gewünschte Stimmung ankündigen sollte, 
                hinter der - man wird´s jeweils gleich sehen - sich da wahre 
                Leben von Theresienstadt offenbart oder - und dazufährt die 
                Kamera ein paar Meter in die Höhe - ein Todesappell im Schnee, 
                wo von den achthundert Komparsen etliche und mehr und mehr umfallen, 
                natürlich für den Film. 
                In der ersten Einstellung sitz ich mit Hannah auf dem Sofa, und 
                hinter mir liegt unser krankes Kind und wird von Hannah gefüttert. 
                Vor mir sitzt Harry, unser Fou, neunzehnvierzig in Ungar geboren, 
                was brauch ich noch viel erklären, und spielt auf einem Blasinstrument 
                was Melancholisches, und ich hab ihm zuzuhören, mit eingesunkenem 
                Gesicht, aber Nase. Keine Glanzleistung bei den kalten Füßen. 
                Wer von den Yankees da nicht gerührt ist, der ist halt nicht 
                gerührt, aber vermutlich werden etliche heulen, bevor sie 
                zum Baseball umschalten. An die vierzig Leute sind eingepfercht 
                in der schlauchartigen Wohnung aus einem Raum, zuerst kommt die 
                Kamera bei Harry und mir vorbei und absolviert der Reihe nach 
                das elende jüdische Leben; die Einstellung soll nachempfunden 
                sein einem Gemälde, das jedermann im Jüdischen Museum 
                von Tel Aviv besichtigen kann. 
                Ich hab bloß Handschuhe anzuhaben und krieg bestenfalls 
                eine Lammfelleinlage hinein, also frier ich vormittags - alle 
                frieren -, frier ich besonders nachmittags beim großen Todesappell. 
                Bis jetzt hab ich mich an die eiskalten Zehen noch nicht gewöhnt, 
                aber es geht, wenn man steht im knöcheltiefen Schnee. Schon 
                aber holt mich Branko Lustig aus der Reihe und setzt mich ganz 
                vorne an einen Tisch, dort sitzen noch unser jüdischer Maler 
                und zwei andre aus Sarajevo; der Judenrat im Schnee. Die jüdische 
                Polizei kommt dann jeweils einzeln gelaufen, und wir Kommission 
                schreiben das alles auf ein Papier; bloß ich krieg kein 
                Papier, ich sitz bloß so da, auf einem Sessel im Schnee 
                und schau mit eingesunkenem Gesicht, wie sich der Appell zieht, 
                aber daneben SS und Schäferhunde und achthundert Leute. 
                Es ist so kalt, wenn man sitzt und hat die Schuh im Schnee, und 
                das Ganze noch einmal vor fünfundvierzig Jahren, aber nackte 
                Füße oder Holzpantoffel oder Lappen und nicht neunzig 
                Minuten, sondern einen Tag, eine Nacht und noch einen Tag. Mir 
                schießt in den Kopf, man sollte die Antisemiten doch statieren 
                lassen. Sollen sie nicht anderthalb Stunden, sondern, sagen wir, 
                drei Stunden so sitzen und stehn bei Minus zweiundzwanzig Grad. 
                Andererseits, wenn die frieren, werden die Unsern doch nicht erwärmt, 
                damals nicht, und heut tut´s ein Tee auch. 
                Ich ertapp mich wie ich auf die noch und noch pelzgefütterten 
                Stiefel des Regisseurs Dan Curtis starre, wenn ich nicht auf Position, 
                das heißt, im Profil sein muß. Er hat sich gemausert 
                der Daniel Kohn aus Budapest. Mir soll´s recht sein, aber 
                ich hätt nix dagegen, wenn er sich etwas beeilt. 
                In der nächsten Einstellung fall ich tief, denn da muß 
                ich mich verkrümeln in die letzte Reihe ebendesselben Todesappelles. 
                Ich versteck mich hinterm breiten Rücken eines slawonischen 
                Bauern, denn entweder ich sitz als Judenrat draußen beim 
                Tisch oder ich steh Appell. Uns von draußen haben die Geizlinge 
                von der ABC nicht auslassen wollen bei der nächsten Szene. 
                Wir sollten nur nicht zu sehen sein. Auch ein Komparse, den man 
                nicht sehen soll, aber der sich nicht aufwärmen gehen darf. 
                Also, wir verstecken uns, und es dauert und dauert etwas, dann 
                drehen sie. Versteckt hab ich mich gut hinter jenem breiten Rücken 
                meines Vordermannes, da fällt der um, und da steh ich trotzig, 
                vor mir sind Tote in Massen, oben ist die Kamera, aber im Profil 
                bin ich nicht. 
                Dann gehen wir zurück in den Wartesaal, und Esther Lichtblau 
                filmt mich durchs Auge der Nana, und ich red beim Hereinkommen 
                vor deren Kamera nur dummes Zeug, aber Esther findet das gut, 
                wenn ich einen Blödsinn von mir geb, da bin ich nicht nur 
                spontan, sondern authentisch sogar. 
                Die Lose des Lebens, wie sind sie anders verteilt, wenn einem 
                kalt ist; in der Kälte wird die Unwirklichkeit so scharf 
                und nahe, dass man sie glaubt und sogar annimmt als eigentlich 
                Wirkliches, welches uns begleitet von damals nach heute. 
                Und so kommt es, dass der des Betens nahezu unkundige Doktor Klang 
                im Schlauch von Daniel Kohns Theresienstadt an der Drau, als die 
                Kamera vorbeifuhr an ihm, und der Ton rhythmisches Gebetsgemurmel, 
                ohne dass man Worte verstehen sollte, einfing, ein inneres Wesen 
                des jüdischen Gebets preisgab, denn er betete murmelnd in 
                Wörtern voll Klarheit und Wahrheit: 
                "Ch'ma Jisruel, kalt is ma in die Fiß, Ch'ma, die Fiß 
                so kalt, oj is ma in die Fiß Israel. Ch'ma Jisruel, in die 
                Fiß is ma soi koit in die Fiß adonai." 
                Da denk ich mir, wann endlich warm werden die Füße, 
                und Kopf bleibt wunderbar kühl, kann passiere, dass kommt 
                nicht der Messias, sondern ein schönes Gefühl. 
               
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