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PROSA Gebürtig. Roman. 1992. Suhrkamp.

  Auszug
  Fortsetzung (Gebürtig 3)

28. Februar 1986

Heute haben sie mich zweimal rausgefischt und ins schärfste Profil gesetzt und damit die jeweiligen Einstellungen begonnen. Irgendwer ist in meine den Stürmerkarikaturen nachempfundene Nase verliebt, so dass gleichsam wie ein Gongschlag vor Judenelendsszenen meine Nase die gewünschte Stimmung ankündigen sollte, hinter der - man wird´s jeweils gleich sehen - sich da wahre Leben von Theresienstadt offenbart oder - und dazufährt die Kamera ein paar Meter in die Höhe - ein Todesappell im Schnee, wo von den achthundert Komparsen etliche und mehr und mehr umfallen, natürlich für den Film.
In der ersten Einstellung sitz ich mit Hannah auf dem Sofa, und hinter mir liegt unser krankes Kind und wird von Hannah gefüttert. Vor mir sitzt Harry, unser Fou, neunzehnvierzig in Ungar geboren, was brauch ich noch viel erklären, und spielt auf einem Blasinstrument was Melancholisches, und ich hab ihm zuzuhören, mit eingesunkenem Gesicht, aber Nase. Keine Glanzleistung bei den kalten Füßen. Wer von den Yankees da nicht gerührt ist, der ist halt nicht gerührt, aber vermutlich werden etliche heulen, bevor sie zum Baseball umschalten. An die vierzig Leute sind eingepfercht in der schlauchartigen Wohnung aus einem Raum, zuerst kommt die Kamera bei Harry und mir vorbei und absolviert der Reihe nach das elende jüdische Leben; die Einstellung soll nachempfunden sein einem Gemälde, das jedermann im Jüdischen Museum von Tel Aviv besichtigen kann.
Ich hab bloß Handschuhe anzuhaben und krieg bestenfalls eine Lammfelleinlage hinein, also frier ich vormittags - alle frieren -, frier ich besonders nachmittags beim großen Todesappell. Bis jetzt hab ich mich an die eiskalten Zehen noch nicht gewöhnt, aber es geht, wenn man steht im knöcheltiefen Schnee. Schon aber holt mich Branko Lustig aus der Reihe und setzt mich ganz vorne an einen Tisch, dort sitzen noch unser jüdischer Maler und zwei andre aus Sarajevo; der Judenrat im Schnee. Die jüdische Polizei kommt dann jeweils einzeln gelaufen, und wir Kommission schreiben das alles auf ein Papier; bloß ich krieg kein Papier, ich sitz bloß so da, auf einem Sessel im Schnee und schau mit eingesunkenem Gesicht, wie sich der Appell zieht, aber daneben SS und Schäferhunde und achthundert Leute.
Es ist so kalt, wenn man sitzt und hat die Schuh im Schnee, und das Ganze noch einmal vor fünfundvierzig Jahren, aber nackte Füße oder Holzpantoffel oder Lappen und nicht neunzig Minuten, sondern einen Tag, eine Nacht und noch einen Tag. Mir schießt in den Kopf, man sollte die Antisemiten doch statieren lassen. Sollen sie nicht anderthalb Stunden, sondern, sagen wir, drei Stunden so sitzen und stehn bei Minus zweiundzwanzig Grad. Andererseits, wenn die frieren, werden die Unsern doch nicht erwärmt, damals nicht, und heut tut´s ein Tee auch.
Ich ertapp mich wie ich auf die noch und noch pelzgefütterten Stiefel des Regisseurs Dan Curtis starre, wenn ich nicht auf Position, das heißt, im Profil sein muß. Er hat sich gemausert der Daniel Kohn aus Budapest. Mir soll´s recht sein, aber ich hätt nix dagegen, wenn er sich etwas beeilt.
In der nächsten Einstellung fall ich tief, denn da muß ich mich verkrümeln in die letzte Reihe ebendesselben Todesappelles. Ich versteck mich hinterm breiten Rücken eines slawonischen Bauern, denn entweder ich sitz als Judenrat draußen beim Tisch oder ich steh Appell. Uns von draußen haben die Geizlinge von der ABC nicht auslassen wollen bei der nächsten Szene. Wir sollten nur nicht zu sehen sein. Auch ein Komparse, den man nicht sehen soll, aber der sich nicht aufwärmen gehen darf. Also, wir verstecken uns, und es dauert und dauert etwas, dann drehen sie. Versteckt hab ich mich gut hinter jenem breiten Rücken meines Vordermannes, da fällt der um, und da steh ich trotzig, vor mir sind Tote in Massen, oben ist die Kamera, aber im Profil bin ich nicht.
Dann gehen wir zurück in den Wartesaal, und Esther Lichtblau filmt mich durchs Auge der Nana, und ich red beim Hereinkommen vor deren Kamera nur dummes Zeug, aber Esther findet das gut, wenn ich einen Blödsinn von mir geb, da bin ich nicht nur spontan, sondern authentisch sogar.
Die Lose des Lebens, wie sind sie anders verteilt, wenn einem kalt ist; in der Kälte wird die Unwirklichkeit so scharf und nahe, dass man sie glaubt und sogar annimmt als eigentlich Wirkliches, welches uns begleitet von damals nach heute.
Und so kommt es, dass der des Betens nahezu unkundige Doktor Klang im Schlauch von Daniel Kohns Theresienstadt an der Drau, als die Kamera vorbeifuhr an ihm, und der Ton rhythmisches Gebetsgemurmel, ohne dass man Worte verstehen sollte, einfing, ein inneres Wesen des jüdischen Gebets preisgab, denn er betete murmelnd in Wörtern voll Klarheit und Wahrheit:
"Ch'ma Jisruel, kalt is ma in die Fiß, Ch'ma, die Fiß so kalt, oj is ma in die Fiß Israel. Ch'ma Jisruel, in die Fiß is ma soi koit in die Fiß adonai."
Da denk ich mir, wann endlich warm werden die Füße, und Kopf bleibt wunderbar kühl, kann passiere, dass kommt nicht der Messias, sondern ein schönes Gefühl.

 
 
 
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GEBÜRTIG
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DIE NACHT DER HARLEKINE
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